Leseprobe Seite 66 - 68


Der Bildschirm war plötzlich auf einen kreisrunden Ausschnitt verkleinert, der hellgrün war und etwas schneeig flimmerte. Und dort sah man jetzt ganz deutlich die Sphinx von Gizeh sowie eine vollendete und eine im Aufbau befindliche Pyramide.

Henning hielt in jeder Hand eine Fernbedienung, er saß wie gebannt da und starrte mit offenem Mund zum Fernseher. Denn nun erschienen da hintereinander drei merkwürdige Flugobjekte, unter denen jeweils an vier Seilen ein riesiger Steinblock hing. Die Luftfahrzeuge waren oben rundherum verglast und besaßen keine Propeller, Rotoren oder sichtbaren Düsen, wirkten wie längliche fliegende Untertassen, sie hatten gerundete Stummelflügel, unter denen kastenförmige Teile saßen, die scheinbar den Antrieb enthielten. Die Maschinen schwebten langsam zu der beinahe halb fertigen Pyramide und trugen dabei mühelos ihre tonnenschwere Last.

Henning wunderte sich über den eigenartigen Film und den seltsam veränderten Bildschirm. Erst jetzt bemerkte er, dass der Ton und die Farbe fehlten, bis auf dieses alles tönende Grün. Staunend verfolgte er das gezeigte Geschehen: Die Flugkörper waren mittlerweile bei der fast menschenleeren Baustelle angekommen und begannen an verschiedenen Stellen mit dem zielgenauen Absetzen der gewaltigen Quader, dabei standen sie in der Luft wie Helikopter und bewegten sich sachte in die ideale Position. Hierbei wurden die Piloten von jeweils zwei Arbeitern eingewiesen, die ihren Standort von unten korrigierten und die Kommandos sicherlich per Sprechfunk übermittelten. So landeten die mächtigen Bausteine schließlich exakt und behutsam am richtigen Platz.

Die Kamera ging nun etwas näher heran, und Henning konnte die Männer deutlicher sehen: sie trugen glänzende Overalls, die im Sonnenlicht blinkten, auf dem Kopf saßen große Helme aus dem gleichen reflektierenden Material, bestimmt waren da drin Lautsprecher und Mikrofon. Die Arbeiter lösten die vier Seile, die alle mit Haken an der Oberseite in eingesetzte Ösen hingen. Sie sahen kurz nach oben zu den Fliegern und gaben wohl Anweisungen, jedenfalls stiegen die Maschinen mit den baumelnden Seilen wieder höher und nach einer engen Schleife verschwanden sie sehr schnell aus dem Bild. An jeden Block wurde jetzt eine Leiter gestellt, ein Mann kletterte rauf und drehte mit einem Gerät von der Größe eines Staubsaugers die starken Ösen aus dem Stein.

Nun wurde noch mehr rangezoomt und es gab einen gemächlichen Schwenk: Von der momentanen Bauhöhe runter zum Sockel und seitlich weiter, wo in einiger Entfernung ein hohes Rollenfahrzeug stand, das mit den verschiedenen Aufbauten einem Messwagen ähnelte; die Walzen dieses sonderbaren Gefährts waren größer als die drei Personen, die davor standen und etwas in ihrer Mitte begutachteten, zwei hatten dunklere Helme auf.

Nun erschien erneut die Sphinx im Bild, aber sie hatte eindeutig einen prächtigen Löwenkopf. Dann kam wieder die fertige Pyramide, und Henning traute seinen Augen nicht und beugte sich fassungslos nach vorne. Das war doch ...! Tatsache! Echt! Er konnte es ganz klar sehen: die Spitze dieses gewaltigen Bauwerks war nicht aus dem üblichen Stein, sondern bestand aus einer aufgesetzten Kristallpyramide mit spiegelnden Flächen, so wie sie sich in Miniformat darüber auf seinem Fernseher befand. Die Art und Tönung waren genauso wie bei den Teilen der verschwundenen Station. In Anbetracht der Höhe und enormen Ausmaße der Pyramide musste dieser Kristall auf dem Gipfel allerdings meterlange Seiten haben.

Henning entdeckte jetzt erst, dass die Programmanzeige auf 36 stand, obwohl der Videokanal ein Platz davor war. Er hatte sich also beim Umschalten offensichtlich vertan und drückte nun die 35. Dort lief der eingelegte Film nach wie vor im Schnelllauf und zeigte in flitzender Folge einen Werbeblock. Er wechselte wieder auf 36, doch da war jetzt nur noch Schnee. Henning tippte weiter, aber auf allen freien Plätzen war ebenfalls dieses schwarz-weiße Grieseln. Er sprang erneut mehrmals zwischen Videokanal und 36, allerdings blieb es dabei: auf dem einen war Wiedergabe im Schnelllauf und auf dem anderen schneeiges Flimmern. Der runde, grüne Bildausschnitt und die mysteriösen Aufnahmen waren weg.

Henning stoppte den Rekorder, schaltete den Fernseher aus und lehnte sich kopfschüttelnd zurück. Er war total verblüfft und nun, da seine Augen nicht mehr wie hypnotisiert an dem Gezeigten hingen und sich nicht alles nur aufs staunende Anschauen konzentrierte, jetzt sprudelten die Fragen hervor: Wie kam so eine Kristallpyramide ins Fernsehen? Was war das für ein Film? War das eine hypothetische Rekonstruktion des Pyramidenbaus oder nur ein Science-Fiction-Film? Wo kam diese Sendung her? Und warum war die plötzlich weg und auf keinem Kanal mehr zu finden? Warum war der Bildschirm so merkwürdig verändert? Das war eindeutig ein Riesenexemplar solch einer Kristallpyramide, genau wie diese aus dem Harz mitgenommene auf seinem Fernseher. Wie konnte so was sein?